(ra) “Was ist eigentlich Journalismus?“ Gute Frage, nicht? Sie stellte sich ein Forum, veranstaltet von Friedrich-Ebert-Stiftung und dem DJV Thüringen.

Um es vorweg zu nehmen: Eine Antwort gab es im Luthersaal des Erfurter Augustinerklosters nicht. Weil es EINE Antwort auch nicht geben kann. Aber Ansichten und Befindlichkeiten erfuhr das Publikum, erfragt von Moderatorin Uta Thofern (3. v. l.). Jene des Medienwissenschaftlers Horst Röper, des Literaten und SPD-Politikers Hans-Jürgen Döring, des ZGT-Verlagsmanagers Klaus Schrotthofer, der DJV-Landesvorsitzenden Anita Grasse und des Bloggers Sven Oelsner (v. l.).

Ansichten und Befindlichkeiten, die bekannt sind, wenig überraschten. Und obendrein dazu (ver-)führten, dass erstaunlich schnell der rote Faden verloren ging. Deshalb sprach man über so ziemlich alles, kam vom Hundertsten ins Tausendste. Mit der damit dann einhergehenden Tiefgründigkeit.

Dabei boten der Einladungs-Flyer wie auch Anita Grasses Begrüßungsrede etliche Steilvorlagen für einen lebhaften Widerstreit der Meinungen. Trotzdem hatte scheinbar keiner im Podium recht Lust, sich dem eigentlichen Thema zu widmen: Röper dozierte zum Einstieg über Trends in der deutschen Medienlandschaft. Der Dortmunder Medienwissenschaftler diagnostizierte dabei den Zustand der Printmedien. Er beklagte einen fortgesetzten Verlust von Medienvielfalt durch Kooperations- und Konzentrationsprozesse. Dazu käme, dass seit 1995 Zeitungen ein Fünftel ihrer Abonnenten verloren hätten. Noch dramatischer wirke sich der Rückgang von rund 40 % bei Werbeeinnahmen aus. Einen Teil hätten Verlage durch die Etablierung von Anzeigenblättern kompensieren können. Doch auch, dass man den Leser mit stetig steigenden Abo-Kosten immer stärker zur Kasse bitte, stoppe nicht die Einnahmeeinbußen der Verlage.

Die allerdings praktizierten das berühmt-berüchtigte deutsche „Jammern auf höchstem Niveau“: In den 1990er Jahren, so Röper, hätten Verlage Umsatzrenditen von 20 % erwirtschaftet „und mehr“, wie etwa die WAZ-Gruppe.

Beim Geld hört die Freundschaft auf. Deshalb legte an der Stelle ZGT-Mann Schrotthofer nur einmalig, aber entschieden und „fürs Protokoll“ Einspruch gegen diese Aussage Röpers ein. Die wäre „jenseits der Realität, die ich wahrnehme“.

Dieses Zuspiel verpasste Moderatorin Uta Thofern, setzte nicht nach: Schrotthofer ist nämlich erst seit 2008 Verlagsmanager in Thüringen . Die Rendite-Zahlen bezogen sich aber auf einen Zeitraum, als er Bonner Korrespondent u. a. für den „Focus“ war …

Schrotthofer beklagte dann eine allgegenwärtige „Schwarz-Weiß-Malerei und Unterteilung in böse Verleger und arme Journalisten“. Er widersprach „düsteren Prognosen für die Zukunft der Zeitungen“, wie sie seiner Ansicht nach Röper gegeben habe. Er sei sich sicher, dass es auch noch in zehn Jahren in Thüringen eine hohe gedruckte Zeitungsauflage gebe. Deshalb, weil es im wohl verstandenen Eigeninteresse der Verlage, qualitativ hochwertige Zeitungen zu machen, um Geld zu verdienen. DJV-Landeschefin Grasse (Foto) ermunterte Schrotthofer, von diesem verdienten Geld auch jene profitieren zu lassen, die diese Produkte erzeugten – nämlich die Journalisten.

Und sie stellte klar, dass sinkende Einnahmen der Verlage nicht automatisch bedeuten würden, dass es den Verlagen derzeit schlecht ginge. Das bestätigte auch Röper: Verlags-Umsatzrenditen wären immer noch höher als jene 2 %, die z. B. Aldi erwirtschafte. Jene 2 % stellten aber für deutsche Verleger ein „Schreckenszenario“ dar.

Schrotthofer ließ dies unkommentiert, verwies hingegen auf jene drei Krisen, die seiner Meinung nach die Printmedien erschütterten: Den Einbruch am Werbemarkt ergänze die demografische Keule. 25.000 Einwohner verlöre z. B. Thüringen jedes Jahr. Verstärkt werde der Bevölkerungsrückgang, weil die Geburtenrate hier nach 1990 auf die Hälfte eingebrochen sei, „so stark, wie in keinem anderen Bundesland“. Zweitens gäbe es seit 20 Jahren einen verschärften Medienwettbewerb. Dennoch verbreiteten viele Zeitungen davon unbeeindruckt weiter jene Inhalte wie zuvor. Dazu käme zum Dritten eine organisatorische Krise, weil redaktionelle Abläufe, die Produktion, auf dem Stand von vor 20 Jahren verharrt sei. Diese beiden selbst verschuldeten Missstände sehe er aber durch die erst kürzlich vollzogene Neustrukturierung der ZGT-Titel behoben. Verlagsseitig seien Voraussetzung dafür geschaffen, „dass Journalisten endlich auf Augenhöhe ihren Lesern“ begegneten. Außerdem entlasteten die neu eingerichteten Newsdesks – jene „Tische“, an denen die Ausgaben produziert werden – die Lokalredaktionen, schaffe Freiräume dafür, dass nun mehr hochwertige Texte und Geschichten recherchiert werden.

Dagegen regte sich Widerstand: Anita Grasse stellte klar, dass für die Tische Kollegen aus den Lokalredaktionen ersatzlos abgezogen worden seien. Und Horst Röper machte darauf aufmerksam, dass bei Redakteuren seit Jahren kontinuierlich der Anteil nicht-journalistischer Tätigkeiten wachse. Auch und trotz der Einführung von Desks. Aus Röpers Sicht nutzten Verlage nur das ihnen innewohnende Einspar-Potenzial.

Doch selbst das heizte die Debatte nicht an. Vielmehr blieb man höflich, versicherte sich gegenseitiger Wertschätzung. Auch das Da-Sein Sven Oelsner änderte daran nichts. Das ist der Mann hinter der „Thüringer Blogzentrale“ . Damit wohl Thüringens bekanntester Blogger. Er brach engagiert eine Lanze für die „basisdemokratische Kommunikation“, die seiner Meinung nach Social Media-Netzwerke, Blogs etc. ermöglichen. Oelsner bleibt dabei aber Realist. Vom Bloggen könne man nicht leben, es wäre nur „eine Möglichkeit für kritische Leser und Bürger sich mitzuteilen“. Internet-Aktivisten wie er wären daher kaum eine Konkurrenz zum derzeit praktizierten Journalismus.

Das hatte zuvor auch schon Horst Röper dargelegt: Sein Formatt-Institut habe z. B. 63 lokale Online-Angebote in NRW analysiert, Alle stünden auf nur „äußerst bescheidener wirtschaftlicher Basis“. Röper schlussfolgerte auch deshalb, dass der Lokalzeitung nach wie vor eine herausragende Bedeutung zukommen könne – selbst wenn das Internet „eine erfreuliche Erweiterung des medialen Angebotes“ sei, das ergänze, aber nicht die traditionellen Angebot ersetzen könne.

Deren Bestand zu erhalten, forderte er ausdrücklich die Politik dazu auf, aktiv zu werden. Laut Röper verpflichte sie das Grundgesetz, insbesondere die Medienvielfalt zu sichern (Anm. R. A.: siehe auch den jüngsten „Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung“ von 2008, Seite 12 f. ) .

So erklärte Röper, die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) prüfe, ob zur Stärkung lokaler journalistischer Angebote nicht auch Steuermittel verwendet werden könnten (1). Das wäre dann zwar ein Systembruch. Aber Deutschland leiste sich als einziges Land der EU den Luxus, nicht in den Medien-Markt einzugreifen.

Dazu befragt, fand das Oelsner – wie zu erwarten war – nicht sinnvoll. Der SPD-Mann Döring schon eher, auch wenn er auf eigentlich leere Kassen verwies.

Reichlich eine Stunde lieferte man sich in diesem Stil auf dem Podium ein merkwürdig blutleer wirkendes Frage-Antwort-Spiel, das zumindest manchmal in kleine, harmlose Geplänkel ausuferte. Erst dann gab Moderatorin Thofern dem Publikum Gelegenheit, sich einzumischen. Sie tat dies mit einer bemerkenswerten Finte: Fragte die Zuhörer, was für sie journalistische Qualität sei.

Halb empört, halb belustigt echote es aus den Reihen: Man sei eigentlich hergekommen, um vom Podium diese Frage beantwortet zu bekommen. Es folgten dann Pro und Contra für die neu strukturierte „Thüringer Allgemeine“, für Lesergedichte. Und Marion Kramer fragte den mindestens zwei Köpfe größeren Klaus Schrotthofer durchaus pointiert nach dessen Interpretation von „Augenhöhe mit dem Leser“.

Apropos Erwartungen: Oelsners letzter Satz, den er am 1. Juli auf seinem Blog schrieb, als er die Teilnahme am Forum ankündigte, lautete: „Meine Spannung auf die Antworten der Vertreter von Politik und Medienwirtschaft hält sich in Grenzen.“

Er behielt Recht.

Leider.

(1) Das ist nicht korrekt. Richtig ist, dass Hannelore Kraft auf dem 23. “Medienform nrw” ankündigte, prüfen zu wollen, die Aus- und Fortbildung von Lokaljournalisten zur Qualitätsicherung und Qualitätssteigerung zu unterstützen. Bei dieser Initiative gehe es aber nicht um Subventionen. Vielmehr regte sie an, mit den Verlegern und den Gewerkschaften darüber nachzudenken, wie sich lokale Recherche, etwa mit Stipendien, stützen lasse ( siehe unter anderem hier ).

Text/Fotos: Rainer ASCHENBRENNER

4 Kommentare zu ““Was ist Journalismus?””

  1. Peter Althaus am 07.07.2011 um 05:17

    Liebe Kollegen,

    da ich am Dienstag leider nicht dabei sein konnte hier nun meine 2 Cent. Freue mich über Kommentierung und Meinungsaustausch!

    Beste Grüße

    Peter Althaus, Weimar

  2. Gerandalf am 07.07.2011 um 22:24

    Die Antwort kann doch nicht immer nur lauten. Kürzt unsere Etats nicht, sonst sinkt die Qualität. Die Frage ist vielmehr, wie man Journalismus nachhaltig wirtschaftlich (von mir aus auch profitabel) machen kann. Und zur Antwort, die ich auch nicht kenne, führt nur ein Weg. Ich brauche schleunigst einen automatisierten Rückkanal zum Leser. Keine mit verlaub Potemkinschen Leserkonferenzen, sondern ein tägliches Wissen, so aktiv wie möglich. Und hier gilt klar: Koste es, was es müsse.

  3. Inge am 08.07.2011 um 10:31

    Eine Antwort, was Journalismus heute ist oder sein sollte, hatte ich von der Veranstaltung ja gar nicht erwartet. Aber immerhin bin ich auf das Forum gereist, um wenigstens eine Richtung zu erkennen.Doch leider. Es wurde so gut wie nicht über journalistische Werte bzw. die Notwendigkeit von journalistischer Meinungsvielfalt , Recherche, Aufklärung etc. im Interesse der Demokratie diskutiert. Dafür hatte Herr Schrotthofer um so mehr und ausgiebig Gelegtenheit, die Werbetrommel für die gemeinsamen “Spitzen”-Produkte der WAZ in Thüringen zu rühren.

  4. Peter Althaus am 08.07.2011 um 20:58

    Hab ich doch im Eifer des Gefechts den Link vergessen: http://tinyurl.com/3p75o5c

    Freu mich noch immer über eine Antwort.

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